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Von 1643 bis 1649 tagte in Münster und Osnabrück ein großer europäischer Friedenskongreß, um einen
"Universal-Frieden" innerhalb des Kontinents herbeizuführen. Das gelang nicht: der Krieg zwischen
Spanien und Frankreich ging weiter. Wohl aber standen am Ende des Westfälischen Friedenskongresses
drei Friedensschlüsse von sehr großer geschichtlicher Bedeutung: einmal der Friede vom 30. Januar
1648 zwischen Spanien und den Generalstaaten, zum andern, unterzeichnet am 24. Oktober 1648 in
Münster, der Frieden des Kaisers und des Reichs mit Frankreich und mit Schweden, die Beendigung des
Dreißigjährigen Krieges.
Für die bei diesen langen und verwickelten Verhandlungen entstandenen Akten gibt es bis heute keine
historisch-kritische Edition nach heutigen Standards. Dieser Aufgabe nimmt sich die
Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften an, die damit das Projekt einer 1957 gegründeten
"Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte" e.V. weiterführt.
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Trotz der heutigen Möglichkeiten, geschichtliche Quellen durch Digitalisierung zu erschließen,
bedarf die Geschichtswissenschaft auch weiterhin der Publikation der wichtigsten Quellen über
zentrale Ereignisse der Vergangenheit in Buchform. Daß die Friedensverträge von 1648 ein solches
herausragendes und daher editionswürdiges Ereignis gewesen sind, liegt auf der Hand:
- Am Friedenskongreß in Münster und Osnabrück nahmen etwa 300 Diplomaten an der Spitze von
140 Delegationen teil, die 194 große, mittlere, kleine und kleinste Mächte vertraten - ein
soziales Konglomerat, das an heutige Plenarversammlungen der UNO erinnert. Etwas Ähnliches
hatte es in der politischen Geschichte der europäischen Staatenwelt vorher noch nie gegeben.
Vergleiche bieten höchstens die Konzilien von Konstanz und Basel sowie, mit Einschränkungen,
die Dritte Tagungsperiode des Trienter Konzils. Das zwang die Diplomaten in Münster und
Osnabrück dazu, vor dem Aushandeln der Friedensbedingungen Konsens über hochpolitische
Geschäftsordnungsfragen herbeizuführen, über das Zeremoniell und die Formen des Aushandelns der
künftigen Verträge. Das 1648 praktizierte internationale Verhandlungsrecht wirkte nach bis ins
19. und 20. Jahrhundert.
- Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für das Gesamt der damaligen Staatenwelt Europas
ist schwer zu überschätzen. Es waren nahezu alle Staaten (mit Ausnahme von England, Irland,
Moskau und der Hohen Pforte) in Westfalen vertreten, und fast alle, bis hin nach Moskau, wurden
in diesen Vertrag einbezogen. Daher wurde bis zur Französischen Revolution bei fast jedem
großen europäischen Friedensschluß auch direkt auf die Verträge von 1648 wieder Bezug genommen.
Insofern ist der Westfälische Friede im 18. Jahrhundert zu Recht als ein Grundgesetz des
europäischen Staatensystems gepriesen worden. Die Verträge von 1648 haben zwar die europäische
Staatenwelt nicht, wie später zu hören war, begründet, wohl aber stabilisiert. In viel
stärkerem Maße als früher gibt es seit 1648 das neuzeitliche Völkerrecht mit Souveränität und
Gleichberechtigung als Grundlage der Staatengesellschaft Europas.
- Der Westfälische Friede war für Deutschland eine perpetua lex et pragmatica sanctio
(Art. XVII § 2 IPO = § 112 IPM), ein geschriebenes Stück Verfassungsrecht, das bis 1806 in
Kraft blieb. Die Reichsverfassung wurde 1648 in vielen und wichtigen Punkten ergänzt, und zwar
besonders in solchen Punkten, die unter den deutschen Bürgerkriegsparteien strittig gewesen
waren. Diese Verfassungsnovelle komplettierte die weiterhin gültigen Fundamentalgesetze des
Reiches von 1356, 1495 und 1555 (das sind: 1356: Kaiserwahlordnung und Kurfürstenstaatsrecht;
1495: Ewiger Reichslandfrieden = Konzentration des Gewaltmonopols bei Kaiser und Reich; 1555:
Augsburger Reichsabschied [Religionsrecht als Landessache, Koexistenz für katholische und
lutherische Territorien]; Reichsexekutionsordnung; Reichskammergerichtsordnung). In dieser
Gestalt wurde und blieb das Heilige Römische Reich deutscher Nation 150 Jahre hindurch die
rechtlich geordnete und gleichzeitig zu machtstaatlichen Aktivitäten ungeeignete politische
Form Mitteleuropas. Das Reich bildete eine im Kern solide Friedens- und Rechtsgemeinschaft, die
als solche, jedenfalls bis zur Mitte des 18. Jahrhundert hin, nicht stets optimal, jedoch im
Ganzen durchaus leidlich funktioniert hat. Daher erhielt die pax Westphalica von
europäischen Wortführern der Aufklärung, wie Voltaire (1694-1778) und Rousseau (1712-1778),
emphatisches Lob.
Verfassungsrechtlich leistete der Westfälische Friede für Deutschland bis zur Zertrümmerung
des Reiches durch Napoleon dreierlei:
- er schrieb erstens den rechtlichen Rahmen eines Teils des herkömmlichen
Territorialstaatsrechts fest (Art. VIII IPO);
- er bestimmte zweitens Handelsfreiheit und moderate Zollsätze als
wirtschaftspolitische Grundnorm für das gesamte Reichsgebiet (Art. IX IPO);
- und er schuf drittens für das Reichsreligionsrecht (mit den berühmten
Artikeln V und VII IPO) Institutionen, die ein friedliches Nebeneinander der drei
Konfessionen dauerhaft garantieren sollten und garantiert haben. Pate stand dabei nicht
der auf das Individuum bezogene Toleranzgedanke der Aufklärung und des von ihr
geprägten liberalen Staates; vielmehr wurde 1648 für soziale Großgruppen, für die drei
großen Konfessionskirchen, die religionspolitische Parität als Grundregel des
Nebeneinanderlebens fixiert und so austariert, daß - aus der Rückschau betrachtet - ein
Koexistenzsystem von bemerkenswerter Dauerhaftigkeit erreicht werden konnte. Seine 150
Jahre lang unveränderten Regelungen waren zum Teil sehr kompliziert, sie haben jedoch
funktioniert.
- Nicht zuletzt beendete der Westfälische Friede den Dreißigjährigen Krieg, der bis zum
Zweiten Weltkrieg mit Fug und Recht als schlimmste Periode der deutschen Geschichte galt. Dem
Großen Krieg seit 1618 folgte der sehr dauerhafte Friede von 1648 im Reich. Das wußten die
Zeitgenossen und viele späteren Generationen, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, hoch zu
schätzen. Erst der national- und machtstaatliche Blickwinkel des 19. Jahrhunderts veränderte
die Bewertungskriterien gründlich. Nunmehr wurde das Jahr 1648 als eigentlicher Tiefpunkt der
deutschen Geschichte verstanden.
Die nach 1945 entstandene, neue politische Grundhaltung, die nicht den souveränen
Machtstaat als höchste Norm des politischen Lebens versteht, hat den Frieden von 1648
wieder als ein Stück gemeinsamer, die europäischen Nationen und die christlichen
Konfessionen übergreifender Vergangenheit zu sehen gelehrt. Die Erinnerung an dieses Erbe
wachzuhalten ist ein wichtiger Beitrag zur Bewahrung der historischen Identität der
Deutschen.
Zusammengefaßt: Das Editionsprojekt Acta Pacis Westphalicae betrifft einen sehr
wichtigen (unter einigen Aspekten sogar den zentralen) Punkt der politischen Friedens- und
Verfassungsgeschichte Deutschlands und Europas in der Frühen Neuzeit.
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Editionen sind kein Selbstzweck, sondern ein Service für weitere Forschung. Sie können und sollen
nicht die Monographien ersetzen, aber sie sind in vielen Fällen eine unerläßliche Voraussetzung für
fruchtbare monographische Einzelforschung, die auf ihnen aufbauen muß. Das gilt besonders bei einem
so verwirrenden Geflecht von Ereignissen, wie es der Friedenskongreß von 1648 gewesen ist, für den
wir bis zu den APW vornehmlich auf Publikationen angewiesen waren, die zwischen 1710 und 1744
erschienen sind (Diarium Volmar ed. Cortrejus [1710]; Memoires et négociations secrètes 1-4 [1710];
Négociations secrètes 1-4 [1725-1726]; Bougeant 1.2 [1727.1744]; Gärtner 1-9 [1731-1738]; Meiern
1-6 u. Walther [Register] [1734-1736. 1739]) und daher heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht
genügen. Jeder Einzelne wäre damit überfordert, sich eine Dokumentation der Hauptquellen des
Westfälischen Friedens nach heutigen Standards selbst und allein zu erarbeiten. Die in Bonn
zusammengestellte Sammlung an Exzerpten und Unterlagen von Akten und Druckwerken, die unmittelbar
mit der Edition der APW zu tun haben, umfaßt derzeit Bestände aus 143 europäischen Archiven und
Bibliotheken, von Lissabon bis Stockholm und von London bis Wien und Rom. Ein Einzelner, und wenn
er der fleißigste und klügste wäre und wenn er ein langes Leben ausschließlich dieser Sache
widmete, er könnte sich eine solche Masse von Materialien, deren Verständnis zudem teilweise
hochspezialisierte paläographische Kenntnisse voraussetzt, kaum erschließen. Die APW sollen ihm
einen zuverlässigen Weg in und durch dieses Gebirge von Materialien bahnen.
Den APW lagen von Anfang an zwei Maximen zugrunde:
- strikt arbeitsteilige Organisation der Editionsarbeiten unter Berücksichtigung des
Provenienzprinzips;
- Beschränkung auf das Wesentliche, also Verzicht auf Vollständigkeit.
- Zur Arbeitsteilung: Im Unterschied etwa zu den früheren Serien der Reichstagsakten des 15.
und 16. Jahrhunderts, die von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der
Wissenschaften seit über 100 Jahren publiziert werden, wollen wir nicht zu unserem Thema (oder
zu Teilthemen) alles einschlägige Material aller damals Beteiligten in chronologischer Ordnung
edieren, sondern bieten in der besonders umfangreichen Korrespondenzserie (APW II) die Akten
nach ihren Provenienzen an: kaiserliche, schwedische, französische, päpstliche, venezianische
Akten usw. Der Bearbeiter kann sich also auf die Akten eines bestimmten Zeitraums einer
einzigen Macht konzentrieren. Das ermöglicht ein vielfaches Nebeneinanderarbeiten ohne
gegenseitige Störung und ohne viel Überschneidungen.
- Zum zweiten, dem Verzicht auf Vollständigkeit: Wir haben von vornherein nicht geplant,
alles Erhaltene zu publizieren, sondern wollen nach rational begründbaren Kriterien und bestem
Wissen und Gewissen das Wichtige von dem weniger Wichtigen unterscheiden, und wir publizieren
allein das Wesentliche: zum Teil im vollen Wortlaut, zum Teil in Regesten, zum Teil durch nur
stichwortartige Hinweise. Die Unterscheidung zwischen "wichtig" und "unwichtig" stellt den
Editor im Einzelfall zwar vor manchmal schwierige Entscheidungen, ist aber immer möglich,
sofern man sich wirklich entscheiden will.
Diesen beiden Prinzipien entspricht der Editionsplan mit seinen drei Serien und unterschiedlich vielen Abteilungen, der in
den fünfziger Jahren entworfen wurde und der sich mit geringen Retouchen bis heute als brauchbar
erwiesen hat.
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Für die Durchführung eines so zeit- und kostenaufwendigen Vorhabens, wie es die APW sind, bedarf es
neben den geschilderten tatsächlichen Gründen auch prinzipieller Vorentscheidungen. Die wichtigste
Prämisse ist die Überzeugung, daß die historisch-kritische Edition zentraler Quellen der
allgemeinen Geschichte auch im Computer-Zeitalter für die Geschichtswissenschaft unentbehrlich
bleibt. Der Herausgeber und die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften sowie der von
ihr zur Herausgabe der Akten des Westfälischen Friedens weiter geförderte Zusammenschluß der
"Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte" e.V. halten an dieser Grundüberzeugung fest,
auch wenn in jüngster Zeit Bedenken gegen die Konzeption und Finanzierung editorischer
Langzeitprojekte überhaupt geltend gemacht worden sind. Sie tun dies im Bewußtsein, daß die Kultur-
und Geisteswissenschaften, und insbesondere die Geschichtswissenschaften, den Willen und die Kraft,
die zu historisch-kritischen Editionen (und übrigens auch zu den großen Wörterbüchern) unerläßlich
sind, aufbringen müssen, weil solche Editionen davor bewahren, in rhetorische Beliebigkeit
abzugleiten. Denn was meint im Zusammenhang mit der aktuellen wissenschaftspolitischen Diskussion
die Formel historisch-kritische Edition? Sie bedeutet die möglichst präzise Feststellung von
historischen Tatsachen und ihre Publikation durch jedermann nachkontrollierbare Offenlegung der
geschichtlichen Entstehung von Texten, in denen und durch die diese Tatsachen konstituiert worden
sind. Dies ist beileibe nicht das Einzige, womit der Historiker zu tun hat. Aber Verzicht auf das
Historisch-Kritische wäre ein methodischer Rückschritt, der die Geschichtswissenschaft um mehr als
300 Jahre, hinter die Acta Sanctorum von 1643 und hinter die Grundlegung der Diplomatik durch
Mabillon (1681), zurückwürfe. Dies darf man nicht wollen - Zeitgeist hin, Zeitgeist her. Unser
Gemeinwesen braucht also - auch - editorische Langzeitprojekte.
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(Konrad Repgen)
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