Deutsche Übersetzung des IPO von Arno Buschmann (1984)
 
  Kollationsvorlage:
Buschmann, Arno (Hrsg., eingeleitet und übertragen): Kaiser und Reich. Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806. (dtv 4384) München 1984, 362-367; deutsche Übersetzung des Vertragstextes. Wiederabgedruckt in: ders.: Kaiser und Reich. Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806 in Dokumenten. Teil II: Vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806. 2., erg. Auflage Baden-Baden 1994, 88-93. (Die Regesten sind hier weggelassen. Die geschweiften Klammern {...} markieren Zusätze des Übersetzers; in der Kollationsvorlage sind dafür zweiwinklige Klammern [...] verwendet.)
 
 
 

deutsch 1984

 
 

Artikel XV IPO

 
   
  [Art. XV,1 IPO = § 48 IPM] {§ 1} Wegen der Angelegenheit Hessen-Kassel ist man wie folgt übereingekommen:
Erstens sollen das Haus Hessen-Kassel und alle seine Fürsten, namentlich die Frau Landgräfin Amalia Elisabeth von Hessen und ihr Herr Sohn Wilhelm und dessen Erben sowie {sämtliche} Diener, Beamte, Vasallen, Untertanen, Soldaten und alle, die zu ihnen auf irgendeine Weise gehören, ohne jede Ausnahme und ohne daß entgegenstehende Verträge, Prozesse, Achterklärungen und andere Erklärungen, Urteile, Vollstreckungen und Vergleiche noch als gültig betrachtet, sondern einschließlich der Klagen und Ansprüche wegen Schadensersatzes der neutralen und kriegführenden Parteien als nichtig angesehen werden sollen, in die allgemeine und bis zum Anfang des böhmischen Krieges zurückreichende und mit vollständiger Restitution ausgestattete Amnestie sowie in alle aus dem Religionsfrieden sich ergebenden Rechtsvorteile mit demselben Recht wie alle übrigen Stände nach der Vorschrift des mit den Worten: „Einstimmig ist auch“ usw. (Artikel VII § 1) beginnenden Artikels [ein]geschlossen sein (ausgenommen die Vasallen und Erbuntertanen der Kaiserlichen Majestät und des österreichischen Hauses, wie im Paragraph: „Endlich sollen sämtliche“ usw. (Artikel IV § 51) geregelt worden ist).
 
   
  [Art. XV,2 IPO = § 49 IPM] {§ 2} Zweitens soll das Haus Hessen-Kassel und seine Nachfolger die Abtei Hersfeld mit allem geistlichen und weltlichen Zubehör, es mag innerhalb oder außerhalb des Landes (z. B. die Propstei Gellingen) liegen, für sich behalten, jedoch unbeschadet der Rechte, die dem Haus Sachsen seit unvordenkliehen Zeiten zustehen, und soll deswegen bei der Kaiserlichen Majestät, so oft der Fall eintritt, um die Belehnung nachsuchen und den Lehnseid leisten ([investituram ...] petant et fidelitatem praestent).  
   
  [Art. XV,3 IPO = § 50 IPM] {§ 3} Drittens soll das Obereigentum und das Untereigentum (ius directi et utilis dominii) über die Ämter Schaumburg, Bückeburg, Sachsenhagen und Stadthagen, das bisher dem Bistum Minden zugewiesen war und zustand, in Zukunft dem jetzigen Herrn Landgrafen Wilhelm von Hessen und seinen Nachfolgern auf ewige Zeiten vollständig und ohne Widerspruch und Beeinträchtigung von seiten des vorerwähnten Bistums oder eines anderen zustehen, unbeschadet jedoch des zwischen dem Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg, der Landgräfin von Hessen und dem Grafen Philipp von Lippe geschlossenen Vergleichs. Desgleichen soll auch der zwischen der vorerwähnten Landgräfin und dem erwähnten Grafen geschlossene Vergleich in Gültigkeit bleiben.  
   
  [Art. XV,4 IPO = § 51 IPM] {§ 4} Darüber hinaus ist vereinbart worden, daß der Frau Landgräfin von Hessen in ihrer Eigenschaft als Vormund, ihrem Sohn und dessen Nachfolgern, den Fürsten von Hessen, für die Rückgabe der in diesem Kriege eroberten Orte sowie als {allgemeine} Entschädigung 600000 Reichstaler von den Erzbistümern Mainz und Köln, von den Bistümern Paderborn, Münster und von der Abtei Fulda innerhalb von 9 Monaten - vom Tage der Ratifikation des Friedens an gerechnet - in geltender Reichswährung auf Kosten und Gefahr der Schuldner in Kassel bar gezahlt werden sollen. Gegen dieses Zahlungsversprechen sind Einwendungen und Einreden nicht zulässig und eine Beschlagnahme der vereinbarten Summe ausgeschlossen.  
   
  [Art. XV,5 IPO = § 52 IPM] {§ 5} Als Sicherheitsleistung soll die Frau Landgräfin Neuß, Coesfeld und Neuhaus und in diesen Orten eine ihr allein verpflichtete Besatzung mit der Maßgabe erhalten, daß mit Ausnahme der Offiziere und anderer notwendiger Personen die Besatzung dieser drei Orte nicht mehr als eintausendzweihundert Mann Fußtruppen und einhundert Reiter ausmacht. Dem Ermessen der Frau Landgräfin soll es anheimgegeben sein, wieviele Fußtruppen und Reiter sie an jedem der vorerwähnten Orte stationieren und wem sie das Kommando über die eine oder die andere Besatzung anvertrauen will.  
   
  [Art. XV,6 IPO = § 53 IPM] {§ 6} Die Besatzungen sollen nach den bisherigen Bestimmungen über die Verpflegung hessischer Offiziere und Soldaten unterhalten, die erforderliche Erhaltung der Festungswerke aber soll von den Erz- und Bistümern, in denen das vorerwähnte Schloß und die vorerwähnten Städte liegen, ohne Verminderung der obenerwähnten Summe vorgenommen werden. Den Besatzungen aber soll erlaubt sein, gegen Säumige und Zahlungsunwillige, jedoch nicht über die geschuldete Summe hinaus, zu vollstrecken. Die landesherrlichen Rechte aber (iura autem superioritatis), die geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit des Erzbischofs von Köln sowie die Einkünfte des vorerwähnten Schlosses und der vorerwähnten Städte sollen unberührt bleiben.  
   
  [Art. XV,7-9 IPO = §§ 54-55 IPM] {§ 7} Sobald der Frau Landgräfin nach Ratifikation des Friedens dreihunderttausend Reichstaler gezahlt sind, soll sie Neuß zurückgeben, Coesfeld und Neuhaus aber weiter besetzt halten, jedoch in der Weise, daß die Besatzung von Neuß nicht nach Coesfeld und Neuhaus verlegt wird oder sie deswegen zusätzliche Forderungen erhebt. Außerdem soll die Besatzung von Coesfeld die Zahl von sechshundert Mann Fußtruppen und fünfzig Reitern, die {Besatzung} von Neuhaus dagegen die Zahl von hundert Mann Fußtruppen nicht überschreiten. Sollte aber der Frau Landgräfin innerhalb der Frist von neun Monaten die gesamte Summe nicht gezahlt sein, so kann sie nicht nur Coesfeld und Neuhaus bis zur völligen Bezahlung besetzt halten, sondern auch für die ausständige Summe, und zwar für je hundert Reichstaler jährlich fünf Reichstaler, Zins fordern, bis der gesamte Rückstand ausgeglichen ist. Außerdem sollen soviele Rentmeister und Einnehmer, als zur Bezahlung und Erfüllung der Zinsforderung erforderlich sind [!], aus den Ämtern der zuvor erwähnten Erz- und Bistümer sowie aus der Abtei[, die] dem Fürstentum der Frau Landgräfin [benachbart sind,] durch Eid verpflichtet werden, die jährlichen Zinsen der ausständigen Summe aus den Einkünften zu zahlen und sich daran selbst durch ein Verbot ihrer Herren nicht hindern lassen.
{§ 8} Sollten die Rentmeister und Einnehmer aber die Zahlung verweigern oder die Einkünfte für andere Zwecke verwenden, soll der Frau Landgräfin das Recht zustehen, {gegen diese} zu vollstrecken und sie auf alle mögliche Weise zur Zahlung zu zwingen, unbeschadet jedoch der landesherrlichen Rechte des Eigentümers. Sobald aber die Frau Landgräfin die gesamte Summe samt Zinsen vom Zeitpunkt des Verzuges erhalten hat, soll sie unverzüglich die vorerwähnten, in der Zwischenzeit als Pfand in Besitz gehaltenen Orte zurückgeben, die Zahlung der Zinsen eingestellt und sollen Rentmeister und Einnehmer, von denen oben Erwähnung getan wurde, von ihrer Verpflichtung befreit werden (iuramenti nexu sint liberati).
{§ 9} Welche Einkünfte aus den Ämtern im Falle eines Zahlungsverzuges zur Bezahlung der Zinsen angewiesen werden sollen, darüber soll {noch} vor Ratifikation des Friedens eine vorläufige Übereinkunft erzielt werden, die jedoch nicht weniger verbindlich sein soll als der Friedensschluß selbst (quae conventio non minoris sit roboris quam ipsum pacis instrumentum).
 
   
  [Art. XV,10-11 IPO = § 56(1)-(2) IPM] {§ 10} Außer den Orten, die, wie vorerwähnt, der Frau Landgräfin als Sicherheitsleistung zu überlassen und erst nach geleisteter Zahlung wieder zurückzugeben sind, soll sie alle Länder und Bistümer, deren Städte, Ämter, Landstädte, Festungen, Schlösser sowie alles liegende Gut einschließlich der im Verlauf des Krieges erworbenen Rechte nach der Ratifikation des Friedens wieder zurückgeben; dies jedoch in der Weise, daß die Frau Landgräfin und ihre zuvor erwähnten Nachfolger aus den erwähnten, pfandweise in Besitz befindlichen drei Orten sowie aus allen anderen noch abzutretenden {Gebieten} alle Lebensmittel und alles Kriegsgerät, das sie in diese hat verbringen oder dort hat anfertigen lassen, durch ihre Untertanen zurückholen lassen darf. {§ 11} Was aber von ihr nicht mitgebracht, sondern in den eroberten Orten zur Zeit der Inbesitznahme vorhanden war und noch vorhanden ist, soll dort verbleiben. Dagegen sollen die Festungswerke und Wälle, die seit der Inbesitznahme errichtet wurden, nur insoweit geschleift werden, als die Städte, Burgen oder Schlösser dadurch nicht ungeschützt Angriffen oder Raubüberfällen ausgesetzt sind.  
   
  [Art. XV,12 ± § 57 IPM] {§ 12} Obwohl die Frau Landgräfin außer von den Erzbistümern und Bistümern Mainz, Köln, Paderborn, Münster und der Abtei Fulda von niemandem sonst eine Rückerstattung oder Entschädigung verlangt hat und deswegen auch von niemandem sonst etwas gezahlt haben will, wurde doch von der Versammlung nach Lage der Sache und Billigkeit der Umstände (pro rerum tamen et circumstantiarum aequitate) bestimmt, daß unbeschadet der Bestimmung des Paragraphen 4: "Überdies ist man übereingekommen" auch die übrigen Stände, wer sie auch sein mögen, diesseits und jenseits des Rheins, die am 1. März dieses Jahres an Hessen eine Kontribution gezahlt haben, in der für diesen Zeitraum festgesetzten Höhe zur Ergänzung der oben bestimmten Summe und zur Unterhaltung der militärischen Besatzung ihren Teil zu der von den zuvorerwähnten Erzbistümern, Bistümern und der Abtei {geschuldeten Summe} beitragen, bei Zahlungsverzug den allenfalls auftretenden Verzugsschaden ersetzen und die Offiziere und Soldaten der Kaiserlichen Majestät oder der Königlichen Majestät von Schweden oder der Landgräfin von Hessen, die zur Vollstreckung aufgeboten worden sind, {am Vollzug der Vollstreckung} in keiner Weise hindern sollen.
Außerdem soll es den Hessen nicht gestattet sein, zum Nachteil irgendeiner Person eine Ausnahme von dieser Bestimmung zu machen. Diejenigen aber, die ihren Anteil termingerecht gezahlt haben, sollen sogleich von aller Verpflichtung frei sein.
 
   
  [Art. XV,13 IPO = § 58 IPM] {§ 13} Hinsichtlich der Rechtsstreitigkeiten zwischen den fürstlichen Häusern von Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt, die wegen der Erbfolge von Marburg anhängig sind, wurde, da diese am 14. des gerade abgelaufenen Monats April in Kassel durch Vergleich beigelegt worden sind, bestimmt, daß dieser Vergleich samt seinem Anhang und dem Rezeß, {in der Form}, in der er in Kassel abgeschlossen, von den Parteien unterfertigt und der gegenwärtigen Versammlung übergeben worden ist, auf Grund des gegenwärtigen Friedensschlusses in der Weise als gültig angesehen werden soll, als ob er Wort für Wort der gegenwärtigen Vertragsurkunde einverleibt worden wäre; {der Vergleich} soll im übrigen weder von den Vergleichsparteien noch von irgendeiner anderen Person unter dem Vorwand eines entgegenstehenden Vertrages oder Eides noch auf andere Weise aufgehoben werden können, sondern vielmehr von allen auf das genaueste eingehalten werden, selbst wenn eine der beteiligten {Vergleichsparteien} sich weigern sollte, {den Vergleich} zu bestätigen.  
   
  [Art. XV,14 IPO = § 59 IPM] {§ 14} Desgleichen soll der Vertrag zwischen dem verstorbenen Herrn Landgrafen Wilhelm von Hessen und den Herrn Grafen Christian und Wolrad von Waldeck, der am 11. April des Jahres 1635 abgeschlossen und vom Herrn Landgrafen Georg von Hessen am 14. April des Jahres 1648 bestätigt worden ist, kraft dieses Friedensschlusses dauernde Gültigkeit erhalten und für alle hessischen Fürsten wie für die Grafen von Waldeck verbindlich sein.  
   
  [Art. XV,15 IPO = § 60 IPM] {§ 15} Darüber hinaus soll das Recht der Primogenitur, das in den beiden Fürstenhäusern Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt eingeführt und von der Kaiserlichen Majestät bestätigt worden ist, aufrecht bleiben und {für die Zukunft} uneingeschränkte Gültigkeit behalten.  


Vertragstext 1648
Übersetzungen
deutsch 1649 |  deutsch 1720 |  deutsch 1975 |  englisch 1713 |  französisch 1684
französisch 1754 |  italienisch 1648 |  schwedisch 1649 |  spanisch 1750